Fette Bonuszahlungen, ein dicker Dienstwagen, ein schickes Büro mit Sekretariat, exklusive Flüge in der Business-Class mit Status-Karte und Zugang zur Executive Lounge der Airline: Ganzen Generationen an Managern – auch Interim Managern – wurde unterstellt, sie seien vorwiegend an Geld und Status orientiert. Folglich wurden Sie auf diese Weise „motiviert“. Doch dann kam Corona. Nun sitzen Führungskräfte ohne ihre Assistenten fast nur noch daheim im Homeoffice vor dem Bildschirm und nutzen digitale Kollaborationstools; einige gar mit Kindergeschrei im Hintergrund. Der dicke Dienstwagen steht fast nur noch unsichtbar in der Garage, und luxuriöse Dienstreisen sind allein schon aus Gesundheitsgründen auf das Notwendigste reduziert.

Spätestens zum Jahreswechsel, wenn es um mögliche Gehaltserhöhungen geht, entsteht Raum für Reflexion: Was ist denn jetzt mit der Motivation? Müssen Unternehmen mehr Geld für mehr Leistung zahlen? Oder gilt das alles gar nicht mehr so? Bei vielen Führungskräften und Mitarbeitenden kommen möglicherweise sogar große Sinn-Fragen auf: „Wozu machen wir das alles? Macht mir das noch Freude? Warum tue ich mir das hier eigentlich an? Wofür ist das gut?

So wird „Sinn“ gerade rund um einen Jahreswechsel zu einem viel besprochenen Thema. Wer dazu Studien zu Rate zieht (einige Quellen finden sich unter diesem Artikel) findet weiterhin die altbekannte Aussage, dass zufriedene Mitarbeiter den Erfolg eines Unternehmens maßgeblich steigern. Neu ist in den aktuellsten Untersuchungen, dass Zufriedenheit zu einem grossen Teil dadurch erreicht wird, dass die Menschen eine gewisse Sinnhaftigkeit erkennen können. „Sinn“ wird somit immer mehr zur anerkannten Voraussetzung für den Erfolg eines Unternehmens – und zum Thema für Führungskräfte.

Purpose: Ein Konzept zur Verbindung zweier Sichtweisen

Genau hier setzt das Konzept „Purpose“ an. Der englische Begriff vereint dabei „Zweck“ (Corporate Purpose) und „Sinn“ (Personal Purpose). So werden beide Sichtweisen abgedeckt: Die zweckgebundene Ausrichtung von Organisationen und die sinngetriebene Einbindung von Individuen.

Was sich in der Theorie gut anhört, zeigt in der Praxis jedoch seine Hürden. Die Autoren eines Fachartikels im Harvard Business Manager von Anfang 2021 sind der Meinung, die ganze Purpose-Diskussion der vergangenen Jahre habe in der Unternehmenspraxis vor Ort dann doch recht wenig gebracht. In den meisten Unternehmen sei Purpose sogar als Marketingexperiment missverstanden worden, z.B. um im „war for talents“ neue Mitarbeiter zu rekrutieren oder gute zu binden. Zudem sei Sinn nicht auf einen Marketing-Claim reduzierbar. Sinn müsse bei jedem Menschen individuell erfasst werden und könne nicht vom Unternehmen vorgegeben werden.

Purpose als Hebel der Unternehmensführung

Bei aller Skepsis und Problemen in der Praxis: Umfassende Studienergebnisse haben überzeugend ausgeführt, dass insbesondere intrinsische Sinnquellen zu einer starken Mitarbeiterzufriedenheit beitragen können. Und diese werden vor allem über die Unternehmenskultur gesteuert. Daraus lässt sich folgern, dass insbesondere „Purpose Driven Organizations“ einen klaren Wettbewerbsvorteil, zumindest auf dem Arbeitsmarkt, haben. Mit dieser Fragestellung hat sich sogar eine eigene qualitative Studie beschäftigt. Diese bestätigt, dass eine gelebte Wertorientierung eine starke Steuerungswirkung hat. Es zeigte sich zudem, dass gerade den Führungskräften eine besondere Bedeutung zukommt. Sie haben einen großen Einfluss dabei, Vision und Mission einer Organisation für die Mitarbeiter erlebbar zu machen. Worin einzelne Mitarbeiter dann jedoch tatsächlich Sinn finden, sei immer individuell und an den Kontext gebunden. In dem Punkt sind sich dann diese Studien und die oben beschriebenen Praxiserfahrungen einig.

Aufgabe des Unternehmens und der Führungskräfte ist es demnach, Werte authentisch darzustellen und auf allen Ebenen zu leben. Wenn es darum geht, gute Talente zu gewinnen und zu halten wird empfohlen, das Employer Branding im Auge zu haben. Schon am Anfang einer Candidate Journey sollten Talente eine Chance haben, zu sehen, ob der Corporate Purpose des Unternehmens zu ihrem Personal Purpose passt.

Purpose orientierte Führung schafft ein Umfeld

Als Lösung und Stand der Diskussion kann zusammengefasst werden: Sinn ist etwas Individuelles. Jeder Mitarbeiter entscheidet am Ende des Tages für sich persönlich, ob seine Arbeit sinnstiftend ist, oder auch nicht. Wichtig sind dabei das, was er mitbringt, bzw. in sich trägt: Seine persönlichen Erfahrungen und seine Prägung als Mensch, seine aktuelle Lebenssituation, seine Werte, die (Lebens-) Ziele und Perspektiven. Die Quellen von Sinn sind daher bei den Menschen im Unternehmen höchst unterschiedlich. Purpose-orientierte Führung berücksichtigt diese Tatsache: Sie schafft und erhält ein Umfeld, welches den Mitarbeitenden erlaubt, die Vision und Mission einer Organisation zu erkennen und Anknüpfungs- oder Verbindungspunkte mit einem persönlichen Sinn in möglichst hohem Masse zu ermöglichen.

Interim Manager und Purpose

Als Interim Management Provider ist es unser Beitrag, bei der Auswahl passender Kandidaten das Thema „Purpose“ abzufragen und transparent auf den Tisch zu legen: Wie sieht die Unternehmenskultur aus? Gibt es einen „Corporate Purpose“ – und wenn ja, wie wird dieser definiert? Wie wird das von den festangestellten Führungskräften gelebt – oder wie soll es gelebt werden? Wie empfinden und leben dies die Mitarbeitenden?

Auf der Seite des Interim Managers stellen sich die Fragen: Wird der Corporate Purpose des Unternehmens, in dem er eingesetzt werden soll, verstanden? Passt das zu seinem eigenen „Personal Purpose“? Kann der Interim Manager sich die Purpose bezogenen Aufgabenstellungen in seiner temporären Rolle zu eigen machen und wirksam agieren?

Wenn „Purpose“ in einem Vorstellungsgespräch zum Thema wird, kann sich eine fruchtbare Diskussion entwickeln, in der sich beide Seiten sehr gut als Mensch kennen lernen. Ein Interim Manager versteht zudem, was auf der menschlichen Seite beim Kunden los ist – und kann verdeutlichen, was an dieser Stelle sein Beitrag zur Lösung sein kann.

Autor:

Dr. Harald Schönfeld, Geschäftsführer butterflymanager GmbH im Dezember 2021

Quellen

Das Prinzip „Purpose“ | Roland Berger

Purpose: Warum Führungskräfte sich um Sinnstiftung kümmern sollten – manager magazin (manager-magazin.de)

Arbeit mit Sinn | Purpose als Quelle für Mitarbeiterzufriedenheit – HRWeb

Bulian, C. (2021). Der Zusammenhang zwischen Purpose im Unternehmen und der Mitarbei-terInnenbindung und Arbeitszufriedenheit. Masterarbeit. FHWien der WKW.

Januschke, C. (2021). Resilienz Coaching als professionelle Unterstützung für Ein-Personen-Unternehmen zur Bewältigung psychosozialer Problemstellungen. Masterarbeit. FHWien der WKW.

Kuta, I. (2021). Purpose – ein Hebel der neuen Unternehmensführung? Eine qualitative Studie über die moderne Organisation inmitten von Partizipation, Engagement und Wohlbefinden. Masterarbeit. FHWien der WKW.

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